Berlin Rot-Weiß
Wenig ist typischer für die Stadt als jene rotweißen Absperrungen, die daran erinnern, dass es hier nicht weitergeht. Überall begegnet man dem Flimmern der Warnfarben. Rot und weiß, weiß und rot. Absperrbarken, Schilder, Markierungen, Pfeile, Linien. Es ist, als hätte die Stadt eine eigene Grammatik entwickelt, eine Syntax aus Verbot und Vorsicht, aus Richtung und Grenze. Ihre Sprache ist die der Ordnung. Foucault hätte in diesem Alphabet eine Disziplinarmacht erkannt, die nicht befiehlt, sondern formt. Die rotweißen Zeichen sind kein tyrannisches Symbol, sondern freundlich, ein pädagogisches Instrument. Wir fühlen uns nicht unterdrückt, sondern geführt mit leichten Gesten, Begrenzungen zum eigenen Schutz. Sicherheit geht vor. Die rotweiße Barke ruft nicht Du sollst, sie flüstert Es ist besser so.
Niklas Luhmann bietet eine andere Perspektive. Bei ihm ist das Stadtbild mit den Warnungen und Regeln kein Zeichen von Macht und Autorität, sondern Ausdruck einer systemischen Kommunikation. Die soziale Welt organisiert sich in Differenzen, in Unterscheidungen zwischen erlaubt und verboten, in sicher und gefährlich, zugänglich und gesperrt. Die Zeichen sind weniger Symbole von Macht, sondern Kommunikationselemente. Sie teilen nicht den Raum, sie teilen Informationen: Hier ist Risiko. Dort ist Sicherheit. Für Luhmann ist Gesellschaft kein Subjekt, das von irgendwem gesteuert wird, sondern ein Netzwerk aus Kommunikation, das sich selbst fortschreibt. Die Gesellschaft zeigt sich vorsichtig, rational und geordnet.
Zwischen Foucault und Luhmann entsteht ein spannungsvoller Dialog. Der eine sieht Macht und Disziplin, der andere Differenz und Kommunikation. Für Foucault ist die Signalbarke ein Werkzeug der Obrigkeit. Der Bürger wird zum regelorientierten Subjekt. Für Luhmann hingegen ist sie ein Zeichen im endlosen Fluss der Kommunikation. Ein Code, der die Welt, soweit dies möglich ist, stabilisiert. Doch beide treffen sich in dem Gedanken, dass Ordnung nicht naturgegeben ist, sondern produziert wird.
Das Rot und Weiß der Stadt ist mehr als eine ästhetische Erscheinung, sondern Ausdruck des Selbstverständnisses einer Gesellschaft, die durch Regeln schützt. Nicht autoritär, nicht immer sinnvoll und vernünftig, aber vorsorglich. Durchdrungen von der Idee, dass Geordnetes Sicherheit verspricht. Die rotweißen Zeichen sind ein Element sozialer Regelungen und Symbol für das fragile Gleichgewicht zwischen Freiheit und ihrer Begrenzung. Selbst der Anarchist weiß, dass beim wilden Radfahren die Beachtung der roten Ampel das Überleben sichern kann.
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