Denkzeichen
In einem etwas versteckt gelegenen Waldgebiet hinter der Berliner Waldbühne im Ortsteil Westend erinnert ein Mahnmal an die Erschießung von mindestens 230 von der nationalsozialistischen Militärjustiz während der letzten Kriegsmonate 1944/45 verurteilten Soldaten. Man hatte ihnen trotz der längst aussichtslos gewordenen Lage Wehrkraftzersetzung vorgeworfen. Die Urteile wurden durch Exekutionskommandos der Wehrmacht vollstreckt.
Der Begriff Wehrkraftzersetzung war 1938 in das nationalsozialistische Militärstrafrecht aufgenommen worden und umfasste in unbestimmter Form Tatbestände, die als geeignet galten, die Kampfmoral der Truppe oder die Widerstandskräfte des Volkes zu schwächen. Gründe für eine Verurteilung konnten sein: Defätistische Äußerungen oder Verbreitung von Gerüchten hinsichtlich des Kriegsausgangs, Kritik an der nationalsozialistischen Führung, Verweigerung des Kriegsdienstes unter anderem durch Selbstverstümmelung, Abhören sogenannter Feindsender sowie alle Formen unterstellter oder tatsächlicher Befehlsverweigerung. Zwischen 1939 und 1945 verhängte die Militärjustiz in Deutschland etwa 30.000 Todesurteile.
Nach 1945 wurde der Tatbestand der Wehrkraftzersetzung als Instrument der nationalsozialistischen Diktatur eingeordnet. Aber noch bis die 1960er Jahre sind viele der Opfer nicht rehabilitiert worden. Erst 1998 wurden die Urteile per Gesetz als unrechtmäßige Willkürakte pauschal aufgehoben.
Im November 2000 lobte der Berliner Senat zur Erinnerung an die Hingerichteten einen Wettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmals im Waldgebiet um die Murellenschlucht aus, einem Areal mit Geschichte. Die Hügellandschaft diente schon im 19. Jahrhundert als Schießplatz und später der Reichswehr und der Wehrmacht als Übungsgebiet. Nach 1945 wurden Teile des Geländes von der britischen Armee und der Berliner Polizei genutzt. Lange Zeit war es unzugänglich. Erst nach 1994 wurde das Areal freigegeben. Der genaue Ort der Hinrichtungen im Waldgebiet kann bis heute aber nicht exakt markiert werden.
Die von der Künstlerin Patricia Pisani entworfenen Denkzeichen wurden 2002 eingeweiht. Es handelt sich um mehr als hundert Verkehrsspiegel, wie sie im Straßenverkehr an unübersichtlichen Einmündungen aufgestellt werden. Sie stehen entlang eines Waldweges, der in der Nähe der Waldbühne beginnt und sich bis über die Murellenschlucht ins Waldgebiet erstreckt. Einigen der Spiegel sind Zitate eingraviert, die auf die nationalsozialistische Unrechtsjustiz hinweisen. Patricia Pisani, eine 1958 in Argentinien geborene Künstlerin, die an Akademien in Stuttgart und Berlin lernte und lehrte, beschrieb ihr Konzept als Versuch, mit Hilfe der Straßenspiegel symbolisch auf Gefahren oder Bedrohungen hinzuweisen, die sich nähern könnten, aber noch nicht zu sehen sind.
Um das Mahnmal aufzusuchen, nutzt man einen Fußweg, ausgehend von der Glockenturmstraße an der Eissporthalle. Weitere Informationen, auch zur weiteren Umgebung, bieten unter anderem die Websites Murellenberge, Murellenschlucht und Schanzenwald direkt am Olympiastadion oder Kiezspaziergang.
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