Faust in Weimar

Stadtmarketing ist ein mühevolles Geschäft. Stets muss mit Neuem gelockt werden. So wirbt die Klassik Stiftung Weimar 250 Jahre nach der Ankunft Goethes mit dem passend gemachten Themenjahr Faust. Beteiligt sind alle Einrichtungen, die diesbezüglich etwas zu bieten haben. Doch wie wird das Hauptwerk Goethes präsentiert? Schließlich geht es, höchst aktuell, um die Suche nach Allwissen und Macht sowie, nicht zuletzt, um die Ausbeutung der Natur. Das vieldeutige Werk lädt zu Interpretationen ein, gerade weil es sich nicht in allen Facetten unmittelbar erschließen lässt. Gefordert ist die aktive Auseinandersetzung. Der Besuch in Weimar wird zu einer Spurensuche zwischen Hochkultur und touristischer Animation.

Den ersten Teil des Faust haben viele, Ältere wohl zumeist, irgendwann gelesen, sei es in der Schule oder aus eigenem Antrieb. Heute gehört er nicht mehr unbedingt zum Unterrichtsstoff. Aber der zweite Teil bleibt ein Buch mit sieben Siegeln. Ein Werk voller philosophischer Tiefe und surrealer Bilder, das eher an modernes Theater erinnert als an klassische Dramatik. Klare Handlungsstränge sucht man vergebens. Stattdessen drängen sich Impressionen, Allegorien und Gedankenexperimente auf. Mythologisches ist allgegenwärtig. Man verlässt die Lektüre oder eine Aufführung verwirrt und doch fasziniert. Die Frage ist, ob es in Weimar gelungen ist, dieses komplexe Werk tiefenschichtig auszuleuchten?

Wir beginnen die Recherche im forschungsorientierten Goethe- und Schiller-Archiv, einem imposanten neoklassizistischen Bau, einige Fußschritte entfernt von der zentralen Tourismuszone. Präsentiert werden als Experiment Faust mehrere Seiten des Originalmanuskriptes, die einen Eindruck von der Arbeitsweise Goethes vermitteln. Die gleichmäßige Kalligrafie der Schriftzüge, Streichungen, Korrekturen und angeheftete Erweiterungszettel illustrieren das schriftstellerische Vorgehen. Entziffern lässt sich vom Ungeübten das Handschriftliche kaum. Gleichwohl ist es nicht ohne auratischen Reiz. Das mag für Goethe-Forscher erhebend sein, aber auch für Übrige ist es ehrfurchtsvoll interessant. Aura bewirkt etwas. Der Rundgang ist dann aber schnell beendet.

Nächster Besuchsort ist das Nietzsche-Archiv, etwas abseits auf einer Anhöhe gelegen. Auch dort gibt es einen Bezug zum Thema. Nietzsche hatte seinen Goethe schließlich gelesen. Zunächst war er schwärmerisch begeistert, später kam Kritisches hinzu. Schautafeln weisen auf einiges aus der Welt Nietzsches hin, beschränken sich aber auf schnellverdauliche Anmerkungen. Dass sowohl Goethes Faust wie auch Nietzsches Zarathustra im Ersten Weltkrieg als Erbauungsliteratur für den Schützengraben dienten, ist eine nachdenklich machende Randinformation. Die Pocket-Books für den Tornister wirken eigentümlich zeitlos. Die zentralen Dokumente des Nietzsche-Archivs befinden sich im Übrigen längst im Goethe- und Schiller-Archiv.

Das Sterbehaus Nietzsches fasziniert vor allem durch die innenarchitektonische Ausstattung Henry van de Veldes. Dessen Gestaltungskraft, die schon einige Jahre vor dem Bauhaus die Moderne vorwegnahm, hat aber vor allem das Museum Neues Weimar geprägt, sozusagen ein Beifang unserer Tour, ganz in der Nähe des Bauhaus Museums gelegen. Goethe spielt hier keine unmittelbare Rolle. Von Harry Graf Kessler, Henry van de Velde und der umtriebigen Elisabeth Förster-Nietzsche zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts initiiert, zeigt das Museum Erinnerungsstücke zum zeitgenössischen Nietzsche-Kult. Es ist jedoch vor allem als Präsentationsort der damaligen Designmoderne unbedingt zu empfehlen. Auch didaktisch ist dem Museum Neues Weimar ein gelungenes Konzept zu attestieren. Wir vergeben fünf Sterne.

Weiter geht es, zurück zu Goethe. Die nach dem desaströsen Brand von 2004 aufwändig restaurierte Herzogin Anna Amalia Bibliothek zeigt einiges zu dem altdeutschen, schon vor Goethe literarisch präsentem Thema Mephisto. Und das Bauhaus Museum widmet sich Oskar Schlemmers Bühnenbild zum Faust. Beide Orte sind einen Besuch wert, auch wenn sie aktuell nur kleinere Puzzlesteine zum Jubiläumsfest beitragen.

Bleibt als zentraler Besuchspunkt Faust. Eine Ausstellung im Schiller-Museum. Dessen Wohnhaus vermittelt, wie auch das von Goethe am Frauenplan, einen museal inszenierten Eindruck vom Wohnen jener Zeit. Die Faust-Schau im neueren Anbau des Museums bleibt dann aber etwas ambivalent. Zu sehen sind zahlreiche raumfüllende, großformatige Stelltafeln mit Zitaten aus dem Werk, die nicht zuletzt den Wortwitz Goethes zeigen. Hinzu kommen Ausschnitte aus Filmen mit Faust-Bezug bis hin zu Fritz Langs Metropolis, auditive Erläuterungen und Textsequenzen, die von Schauspielerinnen und Schauspielern eingesprochen wurden. Darüber hinaus gibt es den Versuch, einem jüngeren Publikum den Stoff anhand von Comics und Graphic Novels nahezubringen. Man spürt den Ansatz, die Aktualität der Faust-Themen kenntlich zu machen. Ob das insbesondere hinsichtlich des zweiten Teils des Werkes mit seiner Hyperkomplexität gelungen ist, sei dahingestellt. Aber wie hätte das im Rahmen einer begrenzten Schau auch gehen sollen? Egal. Wenn sich ein jüngeres Publikum, Zielgruppe sind wohl Schulklassen, vom Gezeigten ansprechen lässt, ist das Konzept nachvollziehbar. Goethe als Prophet der Moderne ist kein schlechter Ansatz. Fortgeschrittene Faust-Leser hätten sich aber wohl ein wenig mehr gewünscht. Es lässt sich jedoch nicht alles auf einmal haben. Mythologie ist ein schwerer Stoff. Man kann sich zur Vertiefung schließlich auch anderer Quellen bedienen.

Wer mit der Erwartung nach Weimar fährt, insbesondere den zweiten Teil des Faust anschließend besser zu kapieren, wird vielleicht ein wenig enttäuscht. Der beworbene Titel Themenjahr Faust hatte intensivere Deutungen und Hintergründiges suggeriert. Kompensieren lässt sich dieser Einwand jedoch durch das hervorragend gestaltete Magazin Klassisch Modern, das dem Thema Faust gewidmet ist und sich kostenlos beziehen lässt. Die Beiträge bieten zahlreiche Informationen und sind auch literarisch bemerkenswert. Sehr gelungen und unbedingt zu empfehlen. Noch einmal fünf Sterne.

Ein Besuch Weimars lohnt immer. Ein attraktives Stadtzentrum, nicht zu vergleichen mit dem grauen, heruntergekommenen Zustand um 1990. Nette Restaurants und eine angenehme Atmosphäre, Kunst und Kultur sind allgegenwärtig. Musik- und Gesangsübende sind hier und dort aus offenstehenden Fenstern zu vernehmen, und auch die Bauhaus Universität trägt dazu bei, dass Studierende von überall her in der Stadt sind und diese bereichern. Als Ort der Literatur, Musik und lebendigen Kultur ist Weimar einzigartig. Das Themenjahr Faust stellt eine freundliche Zugabe dar, selbst wenn die Umsetzung ein wenig hinter der Komplexität des Werkes zurückbleibt. Aber das macht nichts. Hinfahren und die Stadt genießen!

Was Goethes Faust selbst anbelangt, nicht zuletzt den zweiten Teil, ist eine erneute Lektüre mit Begleitung durch einen erläuternden Kommentar, den man wohl braucht, vielleicht keine schlechte Idee. Das Werk ist in vielerlei Hinsicht hochmodern. Das erwähnte Heft der Klassik Stiftung Weimar ist dann im Übrigen mit noch mehr Gewinn zu lesen. Neue Lust auf Goethe? Unbedingt! Mag ja sogar sein, dass der Faust für die Reflexion heutigen Denkens brandgefährlich ist. Mephistos mit Allmachtphantasien gibt es gegenwärtig überall. Nicht umsonst steht im Schiller-Museum ein Feuerlöscher bereit.

Umfassende Informationen zum Themenjahr Faust werden von der Klassik Stiftung Weimar angeboten.

 

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Verbitterung und Ressentiment