Weibliche Inszenierungen in den 1920ern

Ende der 1980er Jahre wurde die Berlinische Galerie auf einige Bilder einer weitgehend unbekannten Fotografin aufmerksam. Es handelte sich um Marta Astfalck-Vietz, deren fotografische Schaffensphase vor allem in die Zeit der Weimarer Republik fiel. Aus heutiger Sicht zählt sie zur Avantgarde der Zwanziger Jahre. Janos Frecot, in den 80ern Kurator des Museums, nahm den Kontakt zu Astfalck-Vietz auf und die schon Hochbetagte erzählte ihm ihre Geschichte. Später erhielt die Berlinische Galerie den Nachlass, aus dem jetzt anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens die Ausstellung Inszeniertes Selbst zusammengestellt wurde.

Marta Vietz, geboren 1901, besucht in Berlin die Höhere Fachschule für Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Kunstgewerbe-Schule. Anschließend absolviert sie eine Fotofachausbildung. 1927 eröffnet sie ein eigenes Atelier. Es folgt eine enge Zusammenarbeit mit Heinz Hajek-Halke. Gemeinsam entstehen experimentelle Fotografien. Mit der sich anbahnenden Zeit des Nationalsozialismus tritt das Fotografische zurück. Mit ihrem Mann, Hellmuth Astfalck, konzentriert sie sich nun auf Werbe- und Gebrauchsgrafiken. Im Zweiten Weltkrieg wird ihr Archiv zerstört. Einige Fotografien hatte sie zuvor auslagern können. Nach 1945 gelingt ein Anknüpfen an das frühere Schaffen nicht mehr. Astfalck-Vietz widmet sich der Pflanzenmalerei und wendet sich sozialpädagogischen Projekten zu. Für diese erhält sie 1982 das Bundesverdienstkreuz. 1994 verstirbt Marta Astfalck-Vietz.

Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist nach thematischen Schwerpunkten geordnet und beginnt im zentralen Raum mit Informationen zu den Lebensstationen von Astfalck-Vietz. In einer Vitrine ist eine Contessa Nettel ausgestellt, eine Großbildkamera, wie sie damals von ihr genutzt wurde.

Der Rundgang zeigt zunächst einige impressionistische Aufnahmen aus den Zwanzigern. Berlin im Aufbruch erinnert an die großstädtische Moderne mit Verkehrsgewühl, Nachtleben und Vergnügungsorten verschiedener Art. Mit der Überschrift Im Sprung fixiert folgen Fotografien sowohl des avantgardistischen Aufführungsgeschehens im Theater wie auch des klassischen Balletts. Dynamische Drehungen fixieren das Verhältnis von Bewegung und Raum. Schon hier wird eine Sichtweise deutlich, die sich von der gestelzten Standbildfotografie vorangegangener Zeiten absetzt.

Viele Bilder werden in kleineren Formaten und in Sepiatönung präsentiert. Da ihnen die uns heute gewohnte digitale Detailschärfe abgeht, erinnern sie ein wenig an den eigentlich überwundenen Piktoralismus der Jahrhundertwende. Trotz Großbildkamera. Ob es sich um Neues Sehen handelt, wie hier und dort zu lesen ist, sei deshalb dahingestellt. Nüchternheit wie bei den oftmals technizistischen Aufnahmen einiger der konstruktivistischen Fotografen jener Zeit geht den Bildern von Astfalck-Vietz jedenfalls ab. Eher sind sie expressiv mit subjektiver, gleichwohl sorgfältig konzipierter Gestaltung. Die zeichnerische Ausbildung kam ihr dabei zugute.

Es folgen beim Rundgang eine Reihe inszenierter Fotografien, bei denen Astfalck-Vietz mit Models arbeitet und sich auch selbst präsentiert. So werden zeittypische Charleston-Posen imitiert und Rollenmuster, etwa die der Biedermeierfrau oder der Femme fatale, wie sie in den damaligen Medien dargestellt wurden, darüber hinaus Bilder mit Requisiten aus anderen Kulturen, sei es aus Osteuropa, Asien oder Darstellungen mit Bastrock im Stil von Josephine Baker. Man mag hier Vorläufer der Rollenfotografie einer Cindy Sherman erkennen, was wohl den Titel der Ausstellung Inszeniertes Selbst mitbestimmt hat: Marta Astfalck-Vietz als Vorläuferin weiblicher Selbstdarstellung jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Erotische Libertinage inbegriffen.

Gleichwohl sahen sich die Ausstellungsmacher veranlasst, in den begleitenden Kommentartafeln Warnhinweise anzubringen. So heißt es dort: Bei der Selbstdarstellung als Josephine Baker handelt es sich um eine unhinterfragte Übernahme kultureller Ausdrucksformen Schwarzer Identität. In diesem Werk sind Aneignungsprozesse erkennbar, die koloniale Machtverhältnisse und rassistische Stereotype reproduzieren. Dabei wird übersehen, dass schon Josephine Baker selbst solche Stereotype parodistisch karikierte. Und dann noch einmal, bezogen auf spielerische Verkleidungen mit Accessoires aus der fernen Fremde: In diesen Darstellungen sind kulturelle Aneignungsprozesse erkennbar, die teilweise rassistische Stereotype reproduzieren. Eine weitere Anmerkung wiederholt den Wink mit dem Zeigefinger.

Man muss nicht Wokeness-Kritikern folgen, um solche museumspädagogischen Belehrungen als ein wenig peinlich zu empfinden, zumindest jedenfalls als überflüssig. Besuchern der Ausstellung wird offenbar nicht zugetraut, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Dann hätte man aber auch gleich beim Betreten der Ausstellung den allgemeinen Hinweis anbringen können, dass einige der Bilder durch kulturelle Aneignung entstanden seien. Wie gesagt: Peinlich und offenbar einem obskuren Zeitgeist geschuldet. Die Berlinische Galerie hat sich da keinen Gefallen getan.

Zurück zu den Fotografien von Marta Astfalck-Vietz. Die Dunkelkammer war für sie ein kreativer Ort. Montagetechniken und Mehrfachbelichtungen gehörten zu ihrem künstlerischen Repertoire. Zusammen mit dem Künstlerfreund Hajek-Halke schuf sie surrealistisch anmutende Bilder, die etwa Einsamkeit, Alkoholismus oder den Voyeurismus der 1920er Jahre widerspiegeln. Die so entstandenen Fotografien folgen der experimentierenden Suche jener Zeit nach neuen Ausdrucksformen und sind häufig mit dem Urheberstempel Combi-Phot versehen. Gemeinsam schufen sie auch ein Werbekonzept für den bahnbrechenden Film Sinfonie der Großstadt von Walter Ruttmann. Die Zusammenarbeit mit Hajek-Halke endete jedoch, als der eines Tages in einer SA-Uniform erschien, so Astfalck-Vietz im Gespräch mit Janos Frecot. Sie war so enttäuscht, dass sie ihm den Laufpass gab.

Als Abschluss der Ausstellung werden eine Reihe der nach 1945 entstandene Aquarelle und Zeichnungen von Pflanzen und botanischen Motiven gezeigt. Astfalck-Vietz hatte die Fotografie nun aufgegeben.

Was bleibt? Auf jeden Fall eine Künstlerin, deren Bilder dem nahekommen, wie wir uns die Roaring Twenties vorstellen: Viel avantgardistischer Touch sowie Anklänge an eine verruchte Subkultur mit Erotik und der Auflösung tradierter Geschlechterrollen. Hinzu kommen Stilelemente, die prägend für die moderne Fotografie sind. Wer sich für die ganze Bandbreite der Fotografie der 1920er Jahre neben Moholy-Nagy oder Renger-Patzsch interessiert, sollte sich einen Besuch der Berlinischen Galerie nicht entgehen lassen. Deren Gemäldesammlung in der oberen Etage mit zahlreichen Bildern aus gleicher Zeit ist ebenfalls zu empfehlen.

Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist noch bis zum 13. Oktober 2025 zu sehen. Begleitend ist im Verlag Hirmer der Katalog Inszeniertes Selbst. Marta Astfalck-Vietz erschienen. 

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