William Kentridge in Dresden und Essen

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie das Museum Folkwang in Essen bieten anlässlich des siebzigsten Geburtstages von William Kentridge in parallelen Ausstellungen mit dem gemeinsamen Titel Listen to the Echo einen grandiosen Überblick über das Werk und die Arbeitsweise des südafrikanischen Künstlers. Großartige, mehrkanalige Videoinstallationen, Skulpturen, Kohlezeichnungen und Objekte, Druckgrafiken sowie performative Konzeptionen für die Bühne vereinen sich zu einem universellen Kunstverständnis, das gleichsam Phantastisches wie Politisches enthält. Einen Schwerpunkt stellt die wechselvolle Geschichte seines Heimatlandes und dessen koloniale Vergangenheit dar. Kentridges Eltern waren Anwälte von Nelson Mandela.

Einblicke in die Laborfunktion des Ateliers von Kentridge vermitteln auf unterhaltsame Weise Aspekte seines Schaffensprozesses. Collagierte Dokumentarfilme mit Kentridge in Doppelgängerfunktion zeigen dies. Die Ausstellungen haben im Übrigen nichts Missionarisches an sich, sondern sind überzeugende Kunst. Mit Fotografie haben sie vielleicht nicht allzu viel zu tun. Gleichwohl ist die universalistisch ausgerichtete Haltung von Kentridge beeindruckend und mag auf Kunst- oder Bildschaffende jeder Art inspirierend wirken.

Das Albertinum präsentiert in seinem großen Ausstellungsraum auf der einen Wandseite eine riesengroße Adaption des Dresdener Fürstenzuges. Könige, Kurfürsten und Markgrafen paradieren vorbei. Auf der anderen Seite des Raumes sind ihnen zwei, im Wechsel gezeigte Filminstallationen gegenübergestellt. Sieben, jeweils mehrere Meter lange Leinwände sind auf eine Reihe von 40 Metern nebeneinandergereiht. More Sweetly Play the Dance von 2015 zeigt eine Prozession schattenhafter Figuren, die durch eine karge Landschaft schreiten und vom Sound einer Brass-Band begleitet werden. Videoprojektionen lassen Tanzende, Beherrschte wie Mächtige, Stürzende, Versehrte und schließlich eine Frau mit Revolutionsgestus vorbeiziehen. Kentridge hat hier eine Mischung aus Kohlezeichnungen, Schattensilhouetten, Musik und anmutiger Bewegungsdynamik geschaffen. Es mag eine allgemeine Symbolik für Unterdrückung, politische Umwälzungen und weltweite Flüchtlingsströme sein, aber es ist auch eine konkrete Erinnerung an die Zeit des Kolonialismus, der Apartheit und der Befreiung in seinem Heimatland. Die Videoprojektionen sowie die Soundbegleitung durch Kentridge-typische Schalltrichter fesseln ungemein. Man betrachtet und hört das Ganze und hat ein intuitives Gespür dafür, um was es bei den Begriffen Freiheit und Conditio humana geht. Die vorbeischreitende Blaskapelle verbreitet trotz aller Weltschmerzen Optimistisches zwischen Leben und Tod.

Ein wenig anders angelegt ist die zweite große Videoinstallation von Kentridge. Das Multimediawerk Oh To Believe in Another World aus dem Jahr 2022 konzentriert sich vor dem Hintergrund der Musik von Dimitri Schostakowitsch und dessen Drangsalierung während der stalinistischen Sowjetunion auf das Scheitern politischer Utopien. Hatte sich die russische Avantgarde nach Lenins Revolution zunächst weitgehend konform zur Umwälzung der Gesellschaft verhalten, wurde das Verhältnis von Kunst und politischer Macht eine zunehmend ambivalente Angelegenheit. Am Ende stand in der Stalinzeit die Desillusionierung hinsichtlich der versprochenen Freiheiten. Der sowjetische Futurismus der 1920er Jahre wurde abgelöst durch einen Sozialistischen Realismus mit platter agitatorischer Funktion.

Als Ergänzung zu den Videoinstallationen im Albertinum sei auch auf die Ausstellungen im Kupferstich-Kabinett des Dresdener Residenzschlosses mit druckgrafischen Werken von Kentridge hingewiesen sowie auf die Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte, die Werkideen des Künstlers einschließlich seiner Gedanken zur Animation präsentiert.

Die Ausstellung im Essener Museum Folkwang zeigt vielleicht noch deutlicher die ganze Bandbreite im Werk von Kentridge. Sie ist keine Doppelung der Dresdener Schau, sondern bietet in elf Abteilungen viel Zusätzliches. Es beginnt mit den Drawings for Projection, Animationsfilmen, deren Ausgangspunkt jeweils eine Kohlezeichnung bildet, die fotografiert und anschließend mehrfach verändert wurde, auch dies wieder fotografisch festgehalten. Danach fügte Kentridge die Kamerabilder als Videosequenz zusammen und machte sie so zum Film. Stets geht es um die Vergangenheit und Gegenwart seines Heimatlandes Südafrika. In den Bildcollagen KABOOM mit Dokumenten, Zeichnungen und Texten befasst sich Kentridge dann mit der Geschichte afrikanischer Männer, Frauen und Kinder, die einst von den Kolonialmächten als Lastenträger rekrutiert wurden. Die Serie Porter zeigt gewebte Tapisserien, die auf Collagen von Kentridge zurückgehen und dieses Thema erneut aufgreifen. Die Zeichnungsserie Colonial Landscapes entstand für das Theaterprojekt Faustus in Africa!, einem Puppenspiel, in dem die Sicht der europäischen Entdecker auf den schwarzen Kontinent reflektiert wird. Und es gibt noch viel mehr zu sehen. Dies stellt nur eine Auswahl aus dem im Museum Folkwang gezeigten Projekten von William Kentridge dar.

Überaus unterhaltsam, wie schon im Albertinum, ist eine Filmcollage im Sinne eines Selbstporträts, in dem Kentridge mit einem Doppelgänger, von ihm selbst dargestellt, auf amüsante Weise über sein Selbstverständnis und seine künstlerische Praxis spricht. Tiefe Weisheiten finden einen lässig vorgetragenen Ausdruck, dem überhaupt nichts Schulmeisterliches anhaftet. Unbedingt ansehen!

Die Ausstellung im Dresdener Albertinum ist noch bis zum 04.01.2026 zu sehen, die im Essener Museum Folkwang bis zum 18.01.2026. Wem es möglich ist, sollte beide Ausstellungen besuchen. Sie ergänzen sich hervorragend und sind zusammengenommen selbst als eine Art Gesamtkunstwerk zu verstehen. Es gehört zu den Museumshighlights des Jahres. Kopfmenschen sollten vielleicht eher in Essen beginnen, expressive Gemüter in Dresden. Zur Vor- oder Nachbereitung ist begleitend bei Frölich & Kaufmann der Katalog William Kentridge. Listen to the Echo erschienen.

Abschließend sei zusätzliche auf die in der Kunsthalle Mannheim dauerhaft gezeigte großartige Multimediainstallation The Refusal of Time von Kentridge aus dem Jahr 2012 hingewiesen. Sie verbindet raumfüllend Animationsfilm, kraftvolle Tonbegleitung sowie eine kinetische Skulptur zu einem Werk, das viele der in Dresden und Essen präsentierten Themen aufgreift.

 

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