Diane Arbus im Gropius Bau
In wenigen Tagen wird in Berlin die Retrospektive Diane Arbus: Konstellationen eröffnet. Vom 16.10.2025 bis zum 18.01.2026 bietet sich im Gropius Bau die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Werk einer der großen Fotografinnen des Zwanzigsten Jahrhunderts. Angekündigt sind 454 Fotografien, einige davon erstmals im Rahmen einer öffentlichen Präsentation. Es handelt sich, so der Veranstalter, um die bislang umfassendste Ausstellung des Werkes von Diane Arbus (1923 – 1971). Die Feuilletons werden das Ganze wohl in den kommenden Tagen umfangreich würdigen. Grund genug, vorab schon einmal an die bisherige Rezeption des Werkes zu erinnern.
Meist wird darauf hingewiesen, dass Diane Arbus in ihren ausdrucksstarken Schwarzweißfotografien von Riesen und Kleinwüchsigen, sexuell Diversen, Nudisten, Sonderlingen und Exzentrikern aller Art die ästhetische Konvention ihrer Zeit bis hin zum Schockierenden radikal ignoriert habe. Letztlich verbleibt eine solche Etikettierung aber auf der Oberfläche, denn bei einer näheren Betrachtung der Rezeption der Fotografien von Arbus scheiden sich die Geister. Meist geht es um die Frage, ob sie eher Ausdruck eines effektheischenden Voyeurismus sind oder ob es sich bei ihnen um einen empathischen Gesellschaftsspiegel mit Reflexionsaufforderung handelt.
Susan Sontag ist dieser Frage vor allem in dem Essay Amerika im düstern Spiegel der Fotografie ihres Bandes Über Fotografie aus dem Jahr 1977 nachgegangen und kam zu einem ambivalenten Urteil. Einerseits betrachtete sie Diane Arbus als eine Schlüsselfigur der zeitgenössischen Fotografie, da sie weder das Schöne noch das dezidiert Sozialkritische suchte, sondern sich auf Befremdliches und Seltsames konzentrierte, ohne dass die Abgebildeten in irgendeiner Weise vorgeführt wurden. Arbus hat die Menschen ernstgenommen, die sich von ihr fotografieren ließen. Es geht dabei aber nicht um die universelle Verbundenheit der Menschheit, wie sie etwa für Edward Steichens berühmte Ausstellung The Family of Man in den 1950er Jahren programmatisch gewesen war. Die Bilder von Diane Arbus mit allerlei normabweichenden Besonderheiten machen vielmehr deutlich, dass es einen Planeten jenseits des Vertrauten gibt.
Gleichwohl äußerte Susan Sontag den Verdacht, dass die Blicke auf die Fotografien von Arbus nicht frei sind von Voyeurismus. Der Betrachter rückt schnell in die Rolle eines Zuschauers, der fasziniert ist von der surrealen menschlichen Vielfalt in den Randzonen der Gesellschaft. Mitgefühl und Moral bleiben dabei jedoch hier und dort auf der Strecke. Dies lässt sich auch als Ausdruck eines desillusionierten Bewusstseins deuten, das aus dem wohlfeilen Blickwinkel eines gesättigten gutbürgerlichen Lebens die Wahrheiten des Seins eher im Abseitigen als im Angepassten zu erkennen meint. Dazu Susan Sontag: Insofern die Arbus-Fotografien den Betrachter einer unleugbaren Nervenprobe aussetzen, sind sie kennzeichnend für die Kunst, die heute beim intellektuellen Großstadtpublikum beliebt ist: Kunst als Härtetest, dem man sich freiwillig unterzieht.
Es ist zu unterscheiden zwischen der fotografischen Intention von Arbus, der auch von Sontag Aufrichtigkeit nicht abgesprochen wird, und den Rezeptionsmotiven der Betrachter. Susan Sontags ambivalentes Fazit blieb jedoch nicht unumstritten. Andere erkannten in den Fotografien deutlich mehr empathisches Potenzial. So hatte schon John Szarkowski, damals Direktor der Fotografieabteilung des Museums of Modern Art in New York, bei der Ausstellung New Documents im Jahr 1967 hervorgehoben, dass Arbus zwar nicht als Sozialreformerin im klassischen Sinn zu verstehen sei, jedoch sensibel die Differenz zwischen öffentlicher Maske und privatem Selbst erkundet habe. Andere wiesen darauf hin, dass es neben dem American Dream inmitten der konsensorientierten Mehrheitsgesellschaft eben noch eine andere, verwirrende Realität mit seltsamen Subkulturen gibt. Dies trägt zu einer Infragestellung der eigenen Identität bei, die sich bei der Konfrontation mit dem Anderen einstellen kann. Für Arthur C. Danto war Arbus im Übrigen eine Künstlerin, deren Bilder durch ihre formale Strenge einen Kontrast zu den teils monströsen Inhalten aufweisen.
Oftmals wurde die Bedeutung von Arbus für die Emanzipation der Fotografie als Kunstform hervorgehoben, da sie die Grenzen des konventionellen Porträts gesprengt und eine neue Subjektivität fernab von Klischees ins Spiel gebracht habe. Bei den Bildern handele es sich deshalb weniger um eine auf Effekt getrimmte Kuriositätenschau, sondern um die Erforschung der Conditio humana mit allen ihren Brüchen und Rätselhaftigkeiten. Der Betrachter wird aufgefordert, seine Vorstellungen von Normalität und Identität zu hinterfragen. Letztlich geht es um Existenzielles und die Auslotung eigener Phantasien. Nicht die Skandalisierung des Randständigen ist Thema, sondern die Auseinandersetzung mit dem Sein.
Der kurze Blick auf einige Rezeptionsaspekte mag dazu anregen, es sich nicht zu leicht zu machen. Wir sind jedenfalls gespannt auf die Ausstellung Diane Arbus: Konstellationen im Gropius Bau und auf die Würdigungen in den Feuilletons. Die Website des Museums bietet im Übrigen zum freien Download ein Booklet zur Ausstellung an. Wer sich auf diese vorbereiten möchte, dem sei als Einstimmung aber vor allem der oben erwähnte Essay Amerika im düstern Spiegel der Fotografie des Bandes Über Fotografie von Susan Sontag wärmstens empfohlen.